30 September 2010

Alles ein bisschen anders…

Es gibt viel Wald, aber kaum Waldwege. Fast jeder hat ein Haus, aber keinen Komfort. Viele haben viele Religionen, aber wenig Freude. Die Meisten haben wenig Geld, aber viele geben es für Alkohol aus. Die Kinder haben schöne Haar, aber oft Läuse. Es gibt viele Hunde und weniger Herrchen. Es gibt warmes Wasser, aber nicht aus der Leitung. Es gibt grade viel Regen, aber keiner mag ihn.
Wenn man durch den Ort Reboucas geht, muss man immer aufpassen, wo man so hintritt. Die Bürgersteige sind entweder kaputt, oder sehr uneben. Die Straßen auch nicht besser und auch nur in der Innenstadt geteert. Die ab gelegeneren Straßen, sind „gepflastert“, eine Stufe weiter definieren auch noch Steine den Weg, diese sind aber nicht von gleicher Gestalt, noch in einer Ordnung verlegt, sondern scheinen hochkant, flach, quer und krumm dort hingeschüttet und festgefahren zu sein. Schlaglöcher bekommen hier eine andere Dimension. Wieder eine Stufe weiter, sind die Wege nicht mehr befestigt. Nur wahlweise braune oder rote Erde, die bei Regen zu einem lehmigen Matsch werden, der sich unter die Schuhe klebt, und einem die Standfestigkeit raubt.
Geschäfte gibt es in der Stadt auch. Auch außerhalb der Stadt, erkennt man bei genauem Hinsehen einen Supermercado, die aber am Stadtrand teure Tante Emmaläden sind. Hier gibt es Bäcker, eine Fahrschule, Klamottenläden, Werkzeugläden, Frisöre, eine Bank, Schmuck usw. Wenn man Lebensmittel einkauft, möchte man sich immer danach die Hände waschen. Alle Verpackungen sind Staubig, oder seltsam klebrig, oft sehr groß und einfach verarbeitet. Fleisch hängt in ganzen Teilen herum. Huhn mit Knochen ist sehr günstig. Der Service ist wunderbar. Alles wird an der Kasse in zahllose Tüten verpackt, die man später als Müllbeutel nehmen kann. Man kann sich die Einkäufe liefern lassen, und sich den Einkauf anschreiben lassen. So macht das Spass, ohne Geld und ohne schleppen, den Wagen voll zu packen
Die Leute sind freundlich und offen. Jeder im Ort weiß wer wir sind, wo wir wohnen, dass wir aus Deutschland kommen, und nix verstehen. Allerdings sind sie nicht ganz ehrlich. Sie sagen manchmal Dinge, die sie nicht so meinen. Wenn man z.B. zu Besuch ist, und aufbrechen will, sagen sie, dass es noch sehr früh sei zum Gehen. Aber sie meinen das anders…
Hier ist viel Leben auf den Straßen. Die Kinder die hier unerschrocken auf der Fahrbahn spielen. Aus vielen Häusern ertönt Partymusik, Leute sitzen auf der Veranda und diskutieren mit den Nachbarn, überall Hunde, plötzlich reiten ein paar Kinder an einem vorbei, laute kaputte Autos, die fürchterlich stinken, alles grüßt sich, und geht seiner Wege. Bei Regen stecken die Brasilianer keine Nasenspitze aus der Türe, überall hängt Wäsche im Vorgarten, alle Haustüren stehen offen, oder sind nicht vorhanden. Die Häuser sind bunt, meist freistehend, einfach und klein. Türen und Fenster erfüllen keine einzige Sicherheitsstandart. Aber in der Innenstadt, da gibt es richtige Villen. Sie sind hoch eingezäunt und haben aalglatte Vorgärten, meist ohne Blumen, aber Rasen und Betonplatten als Auffahrt.

Was mich an diesem Land herausfordert ist die Freundlichkeit. Als Deutschnormal ist man heute introvertiert in der Öffentlichkeit unterwegs. In Bus und Bahn befindet man sich schon beim Eintreten in das Fortbewegungsmittel in seinem eigenen MP3 Universum und unterstreicht diese Haltung noch mit einem Buch vor der Nase. Einziger Aufschluss auf die Sozialkompatiblität gibt das darauf folgende Telefonat, bei dem alle aus dem Bus Zeuge sein dürfen/müssen. In den Dörfern Brasiliens ist das anders.... Da wird man ständig förmlich mit "Alemao" (Deutscher) begrüßt. Und die Einwohner an sich lassen sich gerne mal auf ein Schwätzchen am Gartenzaun ein. Oder an der Kasse im Supermarkt. Und das auch, wenn hinter den Informationshungrigen noch eine lange Schlange steht. Ich weiß gar nicht ob Brasilianer warten. Sie sind einfach und machen den Anschein von völliger Ungerührtheit wenn vor ihnen 50 Leute stehen. Was regelmäßig passiert, wenn sie zum Beispiel ihre Telefonrechnung bei der Lotterie bezahlen wollen, oder neues Geld auf dem Konto ist und die Bank aus allen Nähten platzt. Nee der dörfliche Brasilianer ist gechillt. Er kann auch an seinem freien Tag mit seiner Familie schweigend auf der Veranda stundenlang ins Grüne schauen. Verblüffend! Ich kann das nicht. Wenn ich frei habe, dann ist mein Tag gut durch strukturiert und unterhaltsam. Aber ich kann dieses Verhalten nachvollziehen. Denn die Hitze raubt einem die Luft zum Atmen. Und selbst wenn ich jetzt Wege kenne, die aus meinem Dorf durch Wald und Feld verlaufen, kann ich sie bei der Hitze nicht gehen. Sie legt sich um meinen Hals wie ein zu dicker, eng geschnürter Schal. Ich weiß ja nicht, wie man da körperlich arbeiten kann. Vielleicht ist das deshalb, wie oft beobachtet so, dass einer arbeitet, während 3 ihm dabei zusehen. Außer die Feldarbeiter. Diese Leute haben es wirklich nicht leicht. Besonders die Bauern, die Tabak anbauen. Sie haben wirklich einen harten Job, da sie ständig Gift spritzen, dass für sie der Tod auf Raten ist, sie im Sommer ernten und die Tabakblätter unter ständiger Kontrolle trocknen müssen. Die Blätter kommen in ein Trockenhaus und dort hängen sie, bei brennendem Kamin, der alle 2 Stunden neu befüllt werden muss. Da packen auch die Kinder schon mit an, die so in ihre Zukünftige Aufgabe hinein wachsen. Schulbildung ist nicht so wichtig, und so können die Kinder auch Nachts auf das Feuer aufpassen. Meine Missionarin erklärt mir, dass sie die Erfahrung gemacht hat, dass Kinder zuerst niedlich, und dann nützlich sind. Förderung wird beim einfachen Volk auch deshalb nicht in Betracht gezogen, weil es nur 2 Entwicklungsstufen gibt. Baby, das nichts kann... Bis ca. 5 Jahre, dann muss das Kind aber alt genug sein, um die Dinge des Alltags zu beherrschen. Es herrscht hier und da der "Bischouglaube". Das heißt, wenn das Kind seinen Willen nicht bekommt und schreit, kann es Fieber bekommen und sterben. Erziehung ist hier also ganz anders als bei uns. Und trotzdem sind viele Kinder sehr brav und umgänglich. Viel wollen können die Kinder in den Dörfern sowieso nicht, weil die Leute einfach arm sind und auch das Angebot in den Geschäften nicht viel hergibt. Die Kinder spielen den ganzen Tag mit den Nachbarskindern in ihrer Straße oder lassen einen selbst gebastelten Drachen steigen. In den Städten gibt es allerdings mehr Auswahl! Und so musste ich einmal herzlich lachen als ich in einem Laden namens Amerikan Loja war. Während man sich in Deutschland Gedanken über süßigkeitenfreie Kassen macht, um den Willen der Kinder beziehungsweise die Nerven der Eltern nicht allzu sehr zu strapazieren, ist man in diesem Laden gezwungen durch ein Süßigkeitenlabyrint bis zur Kasse Schlange zu stehen. Zu witzig! Diesen ganzen Kram auf den wir bei unseren Kindern achten gibt es hier nicht. Kinder essen und trinken von Babyalter an extrem viel Süßes Zeug, Kaffee und Matetee. Sie tragen auch keine Schuhe mit Fussbett sondern Flippflopps oder andere Plastikschuhe. Sie haben kein pädagogisch wertvolles Spielmaterial sondern leicht zerstörbares Plastikzeug aus China. Die Auswahl bei den Lebensmitteln ist sehr überschaubar, weil man in Brasilien Lebensmittel nicht importiert. Man ist also recht schnell durch den Einkaufsladen. Danach hat man das dringende Bedürfnis sich die Hände zu waschen, weil das Gemisch aus Feuchtigkeit und Stau einen klebrigen Film auf allem hinterlässt. Gut dass es für dieses Problem überall so Seifenspender gibt, die ein Alkoholgel enthalten, dass die Hände reinigt ohne Wasser. Die Menschen sind hier sehr reinlich und halten die Deutschen für unhygienisch. Brasilianer achten sehr auf ihre Schuhe. Die sind immer super sauber, und das obwohl in den Dörfern viele Strassen nicht geteert und damit entweder staubig oder matschig sind. Sie tragen sehr gerne Turnschuhe... Weiße Turnschuhe... Die würden bei mir ja nicht lange weiß bleiben. Aber bei den Brasilianern leuchten sie immer. Ich bin also wirklich ein Schmuddelkind.

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